Was passiert, wenn ein innovativer Wein-Freidenker (aka Sommelier) und ein hoch talentierter Koch gemeinsame Sache machen? Ein Restaurant, das es in dieser Form bisher in Deutschland noch nicht gab: Das Nobelhart & Schmutzig in Berlin!
Bei meinem kürzlichen Berlin-Aufenthalt hatte ich endlich Gelegenheit dort einzukehren. Das Restaurant, das erst Ende Februar 2015 eröffnet hat, wurde ja schon mit zahlreichen Vorschußlorbeeren bedacht. Die Messlatte lag also ziemlich hoch. Und das Team des Nobelhart & Schmutzig übersprang sie mit einer Leichtigkeit, die oft aus einer konventions-sprengenden Kreativität entsteht!
Billy Wagner, der Inhaber des Lokals, ist trotz seines jungen Alters (33) einer der innovativsten (wahrscheinlich sogar der innovativste) Sommeliers in Deutschland. Er begann seine Laufbahn im Essigbrätlein (zwei Michelin Sterne) hier in Nürnberg und erarbeitete sich dann in der Weinbar Rutz (ein Michelin Stern) in Berlin einen legendären Ruf (u.a. durch die eigene Weinkollektion „Rutz Rebellen“).
Micha Schäfer (27) ist einer der talentiertesten Nachwuchsköche in Deutschland. Gereift unter Matthias Schmidt in der Villa Merton in Frankfurt (zwei Michelin-Sterne) mit seiner nordisch inspirierten Naturküche tritt er nun im Nobelhart & Schmutzig in die erste Reihe.
Das Konzept des Nobelhart & Schmutzig
Ein Menü – 8 bzw. 10 Gänge. Gerichte mit (hyper)lokalen Anspruch („brutal lokal„, kein Olivenöl, keine Zitrone etc.) und dazu eine fulminante Weinkarte oder natürlich eine Weinbegleitung, über die man staunen kann (ging mir jedenfalls so). Wasser im Preis inbegriffen. So reduziert wie es sich anhört, so beeindruckend ist das Erlebnis.
Das Raum- und Ausstattungskonzept des Restaurants unterstützt diese Linie auf perfekte Weise. Die Gäste sitzen an einem Tresen in U-Form und genießen Front-Cooking wie es schöner nicht sein könnte. Geschirr, Besteck, Gläser, alles paßt perfekt zur Konzeption. Hier hat sich jemand richtig Gedanken gemacht. Mehr dazu hier in diesem Video:
Fokussiert & unkonventionell
Hat man am Tresen Platz genommen, wird man sofort Teil des Geschehens. Das ganze Team ist gleichberechtigt, d.h. die Gerichte werden mal von den Köchen serviert und erläutert, mal von den netten Damen aus dem Service. Billy Wagner wirbelt zwischendurch, schenkt fulminante Weine ein, macht Scherzchen und legt Musik auf (ja, es steht ein Plattenspieler da, daneben eine ausgezeichnete Plattensammlung).
Während unseres Besuch war das Lokal ausgebucht, eine heterogene Gästeschar mit Freude am Genuß, kein Schicki-Micki-Publikum. Dazu die klare Ansage auf der Speisekarte: „Das schönste Kompliment (…) ist das Mobiltelefon lautlos zu stellen und es in der Tasche zu lassen. Please take memories, not pictures.“ (Aus diesem Grund gibt’s diesmal auch keine Bilder von den Gerichten.)
Das Essen im Nobelhart & Schmutzig
Nun natürlich zum Wichtigsten: Das Essen. Hier meine Eindrücke vom Menü, bewertet auf einer Skala von 1 bis 10.
Spargel mit einer Johannisbeer-Hollandaise (7/10)
Wir bekamen jeweils eine halbierte Stange Spargel mit einem Klecks Hollandaise. Diese wird, wie ich auf Nachfrage erfuhr, mit Öl aus getrockneten Johannisbeer-Blättern aromatisiert. Bitte ruhig mit den Fingern essen, empfahl der Service (dazu gab’s vorher auch feuchte Handtücher). Ungewöhnlich, appetitanregend, ein schöner Einstieg!
Rapsblüten mit Saiblingskaviar (9/10)
Das Landschaftsbild kennt jeder, weite Felder mit gelbem Raps. Und nun also eine Rapsblüte auf dem Teller, verfeinert mit Saiblingskaviar und, hm, da war noch was anderes dabei. Ist mir leider entfallen. Idee und Geschmack jedenfalls großartig.
Brot und Butter (8/10)
Das Brot liefert Sironi aus der Markthalle 9 zu, weit überdurchschnittliche Qualität, perfekt passend zum Konzept. Der Hammer ist jedoch die selbst gemachte Rohmilchbutter. Kann mich nicht erinnern schon mal derartige Butter-Qualität gegessen zu haben.
Müritz Forelle / Kartoffel / Chicoree (5/10)
Nun kam der Fisch, eine sanft gegarte Forelle mit Kartoffelpüree und knackigem Chicoree. Ein klar konzipiertes Gericht, für mich aber mit Schwächen in der Produktqualität der Forelle. Ich bemerkte eine dumpfe, leicht muffige Note, die wohl aus mangelnder Sorgfalt in der Hälterung des Fisch herrührten. Süßwasserfisch muß meiner Meinung nach zarte und klare Aromen aufweisen, so wie das Wasser in dem er lebt. Vielleicht lag’s an der aktuellen Lieferung, ist ja kein Beinbruch. (Bestätigt wurde mein Eindruck auch von der Begleiterin, sie ist mindestens so unbestechlich im Urteil wie ich…)
Gurke / Emmer / Vogelbeere (8/10)
Eingesalzene und vakuumierte Gurke mit Emmerbrösel (?) und eingelegten Vogelbeeren. Sehr schön, sehr frisch, eine Wohltat für den Gaumen. Leichte bittere Fruchtigkeit der Vogelbeeren, eine ungwöhnliche Textur der Gurke dazu als Gegenspieler die getreidige Knusprigkeit des Emmers. Lecker, flugs waren die Teller leer.
Radieschen / Blutwurst / Petersilie (9/10)
Geschmorte Radieschenwurzel mit einer Nocke Blutwurst und expressiv verkleckerter Petersiliensauce. Wunderbar, das war für mich der exemplarische Gang! Vielfältigste Aromen, je nachdem wie man die Elemente kombiniert hat. Das Herzstück natürlich eine Blutwurst von überirdischer Produktqualität. Hach!
Sellerie / Lauch / Rinderfett (4/10)
Eine Suppe. Naja nicht wirklich erwähnenswert. Das als Geschmacksträger eingebrachte Rinderfett hatte für mich zuwenig Charakter. Das Gericht wirkte auf mich wie noch nicht zu Ende gedacht. Naja, klug dahergeredet, aber eine ungewöhnliche Einlage würde hier vielleicht etwas bringen.
Schweinenacken / Zwiebel / Kamille (9/10)
Sehr schön! Endlich wieder Fleisch. Der Schweinenacken war sanft gegart und auf Rebenholz gegrillt. Köstliche Aromatik mit Rauchtönen und wunderbar verlängert durch das Süßliche der geschmorten Zwiebeln und den sanft hervorschimmernden Kamillenaromen. Yes, jetzt habt ihr mich!
Sauerampfer / Dillblüten (ohne Bewertung)
Ein Sauerampfer-Eis. Das weiß ich noch, mehr aber nicht mehr. Ohne Fehler, aber offensichtlich nicht erinnerungswürdig
Grüner Hafer / Rharbarber (ohne Bewertung)
Auch hier gilt: Keine Erinnerung, keine Bewertung.
Die Weinbegleitung
Besondere Erwartung hatte ich natürlich an die Weinauswahl. Und sie wurde haushoch übertroffen, sensationell was Billy Wagner uns hier kredenzte. Zu Beginn baten wir um gelegentliche nicht-alkoholische Einsprengsel (geboren aus einer mißverständlichen Äußerung der Begleiterin – aber darüber decken wir nun einen Mantel des Schweigens).
Wir starteten mit einem Riesling Sekt und einem sehr sehr guten Rhabarber Schaumwein aus Dänemark. Zum ersten Gang dann ein kristallklarer Chardonnay aus dem Jura. Ungewöhnlich, gut und appetitanregend. Der perfekte Wein zum Start.
Danach der erste Knaller: Ein Saumur Blanc von der Loire (Rebsorte ist hier Chenin blanc) – wow, was für ein Tropfen, noch nie was derartiges getrunken. Wie hieß der nochmal? Leider hilft mir ein Blick auf die lesenswerte Weinkarte nicht weiter, das muß geklärt werden!
Gefolgt von einem gereiften Riesling (2004) vom Demeter Weingut Beurer aus Württemberg. Wieder so eine Perle! Schnell auf der Watchlist notiert.
Jetzt kam Bier und eine nicht-alkoholische Variante dazu: Das Thirsty Lady Blonde Ale von Heidenpeters aus der Markthalle 9 (zwei Tage später konnten wir uns von der außergwöhnlichen Braukunst erneut überzeugen, hier dazu mehr) und Fitaminn von der Brauerei Unertl, beides sehr sehr lecker!
Der nächste Paukenschlag: Gereifter Riesling (Auslese) aus dem Rheingau, Jahrgang 1989 (!). Ans Weingut kann ich mich nicht mehr erinnern, aber unglaublich wie frisch und leicht der Riesling im Glas stand. Ein Erlebnis!
Zum Dessert gab es einen sehr experimentellen Chardonnay, in der Flasche vergoren und dadurch prickelnd (Demeter Qualität). Für mich wenig überzeugend, wirkte unharmonisch. Aber so ist es, solche Weine polarisieren. Nichts für mich jedenfalls.
Zum Abschluß des Menüs war klar, dass ich Billy Wagner nochmal fordern muß. Mit Hochprozentigem. Und so entspann sich folgender Dialog:
Fruchtig oder herb kräutrig?
Herb!
Richtig herb, oder normal?
Richtig herb!
Billy griff ins Regal und holte einen Bruns Bitter hervor. Handwerklich produzierte Medizin, so kann man das Getränk wohl bezeichnen. Genau das was ich mir zum Abschluß wünschte!
Mein Fazit
Das Nobelhart & Schmutzig ist ein kulinarisches Gesamtkunstwerk. Dabei nicht artifiziell oder konstruiert. Für Genießer, die offen sind für neue Erlebnisse. Denen der reine Genuß am Herzen liegt. Die erfahren wollen, wie ein Restaurant in Zukunft aussehen kann. Die schmecken wollen, wie deutsche regionale (und lokale) Küche sein kann.
Man kann Billy Wagner und seinem Team nur viel Erfolg wünschen! Für mich hat das Nobelhart & Schmutzig auf jeden Fall einen Michelin-Stern verdient, mal sehen wie es die Tester sehen.
Beim Abschied unterhielten wir uns kurz mit Billy Wagner über dieses Thema, wobei er verschmitzt bemerkte, dass der Gault Millau-Tester vor zwei Wochen wohl ganz zufrieden war.
Aktualisierung:
Inzwischen (Stand 12.11.2015) hat der Gault Millau das Lokal von Billy Wagner mit 16 Punkten bewertet und der Guide Michelin vergibt tatsächlich einen Stern. Ein toller Erfolg für Konzept und Team des innovativen Restaurants!
Erneute Aktualisierung (Oktober 2016):
Das Gourmetmagazin „Der Feinschmecker“ hat in der Ausgabe Oktober 2016 das Nobelhart & Schmutzig als Restaurant des Jahres 2016 ausgezeichnet. Das Magazin würdigt dabei die Leistung von Team, Küche und Konzept:
Es (Anmerkung: Das Restaurant) bietet mit höchster Professionalität und kompromisslosem Qualitätsanspruch ein authentisches Ess-Erlebnis. Hier wird keine Kopie der nordischen Küche geboten, sondern eine eigene Handschrift und ein hundertprozentig stimmiges Konzept.