Mit der Besprechung des Restaurants Einzimmer Küche Bar in Nürnberg breche ich mit einer, mir selbst auferlegten, Blogregel:
Eigentlich wollte ich ja nur für besternte Restaurants eine Kritik verfassen. Dies klingt etwas herablassend, soll es aber nicht sein. Letztendlich dient es nur dazu einen einheitlichen Qualitätsmaßstab anlegen zu können.
Aber wieso nun hier nicht? Ganz einfach, das jüngst eröffnete Einzimmer Küche Bar ist für mich das bemerkenswerteste und innovativste Konzept in Nürnbergs gehobener Gastronomie. Endlich schwappt die Welle des sog. Bistronomy Idee, die vor vielen Jahren in Paris seinen Ausgang hatte (und durch das Magazin LeFooding entscheidend begleitet wurde), zu uns.
Unter Bistronomy versteht man ein Konzept, dass auf traditionelle Maßstäbe der Gastronomiebewertung verzichtet und in sehr reduziertem Rahmen dennoch höchste Qualität bei Zutaten und Zubereitung anlegt. Keine Luxuszutaten aber hohe Kochkunst. Keine gestärkten Tischdecken aber gute Weingläser. Oder es wie der Guardian zusammenfaßt: „…they offer experimental haute cuisine at affordable prices.“ (hier zum ganzen Artikel).
Dieser Idee folgt das Einzimmer Küche Bar in Nürnberg nahezu exemplarisch.
Es ist fast eine One-man-show, die der junge Koch Tim Kohler hier auf die Beine gestellt hat.
Ein winziges Lokal, nicht besonders attraktiv gelegen gegenüber einer Parkhauseinfahrt, aber mit großer Nachbarschaft:
Es sind nur ein paar Schritte bis zum Essigbrätlein, dem hochinnovativen Restaurant von Andree Köthe und Yves Ollech. Vielleicht färbt da ja was ab…
Der Gastraum ist funktional und geschmackvoll gestaltet. Als wir gegen 19.30 Uhr eintreffen herrscht eine angenehm lebendig Stimmung im Lokal.
Eine Besonderheit (und Zeichen für die Idee hinter dem Restaurant) ist das große Sichtfenster in die winzige Küche. Direkt davor ist der Tisch an dem wir platziert werden.
Ich bin darüber besonders erfreut, denn das ist ja quasi ein Kitchen Table von dem man aus alles beobachten kann. Die Begleiterin ist nicht ganz so begeistert und fühlt sich ab und zu etwas irritiert vom werkelnden Team in der Küche.
Gutes Stichwort „Küche“: Hier kocht Tim Kohler mit einem weiteren Koch die kompletten Menüs. Auch ein Spüler findet auf den gefühlten 8 qm in der Küche noch Platz. Alles gut zu beobachten für uns.
Aber nun geht es endlich los:
Die Speisekarte im Einzimmer Küche Bar
Die Karte ist klein aber spannend. Man kann sich aus den Gerichten ein 3-, 4- oder 5-Gang Menü zusammenstellen.
Wir entscheiden uns für 4 Gänge, übrigens freundlich unterstützt vom untadeligen Service, der auf den zu erwartenden Garzustand des Saiblings im ersten Gang hinwies („fast roh“) und auch über die vegetarische Alternative zum Fleisch im Hauptgang aufmerksam machte.
Die etwas zeitgeistigen Bezeichnungen („Saibling geht koksen“) müßten nicht sein, aber das soll jetzt keine Rolle spielen.
Gerne nehmen wir einen Aperitif:
Der »Favorite« Méthode Traditionnelle Brut von Clos Roussely ist wunderbar, ein reiner Chardonnay Schaumwein, erfrischend und mit einem köstlichen Duft nach frischem Brot und hefigen Noten. Da kann man über das, ähem, gewöhnungsbedürftige Etikett schon mal hinwegsehen 😉
Parallel wird uns dann auch der Duft in fester Form serviert: Tolles Brot mit Korianderbutter. (Das Brot wird zugeliefert)
Das Menü im Einzimmer Küche Bar
Dann geht es auch schon los und der Koch selbst serviert uns das Amuse Gueule:
Spargel mit Mandarine (8/10)
Und das ist ein echter Vorgeschmack auf das was noch kommen sollte. Einfach aber perfekt kombiniert, ein wunderbares Spiel der Texturen und der Temperaturen, fruchtige Säure und der leicht bittere Spargel.
Ein echter Appetizer!
Inzwischen haben wir uns aus der kleinen Weinauswahl für einen Muskateller vom Weingut Ziereisen entschieden.
Er stellt sich als angemessener Begleiter der aromatisch-frischen Frühlingsküche heraus und ist dann doch recht schnell geleert…
Saibling mit Meerettich und Johannisbeere (8/10)
Als Vorspeise kommt dann ein ordentliches Stück Saibling, nur kurz angegart, was den Charakter des Fisch schön hervorhebt.
Saibling ist meiner Meinung nach mit Abstand der feinste Süßwasserfisch und dabei vielseitig kombinierbar.
Und Tim Kohler zeigt dann damit auch schon mal was er kann: Kombiniert mit eingelegten Preiselbeeren, Merrettich und, ich glaube, Verjus feuert er eine erste Aromasalve auf uns ab.
Die frischen (Wild-)Kräuter sind nicht nur Deko, sondern runden das Geschmacksbild durch besondere Akzente ab (ich meine da war auch ein Austernkraut dabei).
Unsere Erwartungen steigen und werden nicht enttäuscht.
Petersilienwurzel, Rhabarber (9/10)
Jetzt dreht die Küche auf, Textur und Geschmacksbilder werden ausgereizt.
Knackige Petersilienwurzel, bittere Noten umspielt von der Säure des Rhabarber dazu das süßliche Püree und die grünen Noten der Soße. Das ist Aromenachterbahn, aber eine die einen juchzen läßt vor Vergnügen!
Bemerkenswert auch hier wieder die schönen Kontraste in Temperatur und Textur. Hier kann jemand richtig kochen!
Reh mit Sellerie, Waldbeeren, Pfeffer (6/10)
An ein Hauptgericht hat man ja oft besondere Erwartungen – es ist das Herz eines Menüs und oft auch der Höhepunkt.
Meiner Erfahrung nach machen Köche aber im Hauptgericht oft zu viele Kompromisse um kein Risiko einzugehen. Man greift dann doch gerne auf edle Fleischteile oder auch Fische zurück.
Auch in der Aromatik hat man manchmal das Gefühl, dass den Koch etwas der Mut verläßt, der in den vorangegangenen Gängen doch so neue Genußerfahrungen ermöglicht hat.
Nun ja, ein bisschen war es auch beim Hauptgang im Einzimmer so: Das Reh, natürlich untadelig gegart (ich vermute Sous-Vide) und mit dunklen süßlichen Aromen kombiniert.
Ein bisschen vorhersehbar, aber natürlich sehr gefällig. Zu kritisieren wäre hier dass die Aromen doch etwas zu massiert und willkürlich kombiniert erscheinen, das Gericht wies nach meiner Einschätzung keine klare Linie auf.
Alle Komponenten für sich waren sehr gut, nur durch die Kombination haben sie ein bisschen verloren. Normalerweise (und so war es bei den vorangegangenen Gerichten) sollte es umgekehrt sein.
Auch hat Tim Kohler hier sein virtuoses Spiel mit Textur und Temperatur etwas zurückgenommen, ein etwas forcierterer Umgang mit Texturunterschieden hätte mir hier besser gefallen.
Grundsätzlich bewegt sich hier meine Kritik schon auf einem Anspruchsniveau für Sternegastronomie, das verhehle ich gar nicht, und ist somit eigentlich unangemessen, aber Tim Kohler hat meiner Meinung absolut das Zeug und auch die innovativen Ideen für eine Küche auf Sterneniveau.
Gurke, Tonic und Quark als Dessert (7/10)
Da wunderschön und appetitlich präsentiertem Dessert zeigt sich auf der Höhe der Zeit:
Gemüse im Dessert ist ja schwer angesagt und der vermutlich beste Patissier Deutschlands Christian Hümbs hat seine Erfolge ja mit Dessert abseits von zuckriger Frucht- und Schokoladensüße erzielt. Das kann man im Einzimmer auch!
Ich muß leider gestehen, dass ich beim Dessert eine sehr konservative Geschmackserwartung habe:
Ich mags einfach gerne süß und fruchtig, auch gegen Schokolade habe ich nichts. So traf die Nachspeise nicht ganz meinen Geschmack.
Aber wohlgemerkt, dies ist ein rein subjektiver Eindruck. Objektiv gibt es nichts auszusetzen, die Kombination von weißer Schokolade und Dill, kunstvoll gewickelten Gurkenscheibchen, Tonicgel und Quarkeis (?) ist stimmig und lecker.
Nicht nur als Einzelgericht, sondern auch als Abschluß dieses Menüs wohl durchdacht.
Das zeigt für mich auch die Klasse von Tim Kohler: Die Idee von regional und jahreszeitlich orientierter Küche führt nicht zu beliebiger Austauschbarkeit sondern zu einem harmonischen Menü. Das ist toll und hat uns begeistert!
Einzimmer Küche Bar – das Fazit
Mit Tim Kohler haben wir in Nürnberg definitiv einen „rising star“ am Himmel der gehobenen Gastronomie.
Kluge, intelligente Küche, modern und trotzdem nicht verkopft. Serviert in angenehmen Rahmen und einer entspannten Atmosphäre machen die Gerichte im Einzimmer richtig Freude.
Auch die Rahmenfaktoren stimmen: der Service agiert professionell und trotzdem entspannt. Die jungen Damen gaben uns das Gefühl von echter Gastlichkeit ohne Aufgesetztheit und ohne gespielte Lässigkeit, die in anderen Lokalen oft als Nachlässigkeit interpretiert werden kann.
Das Timing und die Taktung im Menü war perfekt, keine unnötigen Wartezeiten – eine Wohltat!
Wer sich durch den Betrieb in der Küche leicht gestört fühlt, sollte bei der Reservierung vielleicht eine Platz abseits des großen Fensters zur Küche erbeten. Mir hat der Platz sehr viel Spaß gemacht, die Begleiterin war wie schon erwähnt nicht uneingeschränkt begeistert davon.
Abschließend muß ich sagen, dass ich durchaus mit leiser Furcht eine wachsende Beliebtheit vom Einzimmer Küche Bar in der Zukunft sehe. Es wird also vermutlich schwieriger werden kurzfristig eine freien Platz zu ergattern.
Aber natürlich wünschen wir Tim Kohler und seinem kleinen Team allen Erfolg für dieses tolle Lokal. Wir kommen jedenfalls wieder – ganz bestimmt!
Infos zu Öffnungszeiten und Kontaktdaten finden sich auf der schönen Website des Restaurants.
Aktualisierung (15.11.2016)
Der soeben erschienene Gault&Millau Deutschland 2017 bewertet das Einzimmer Küche Bar erstmalig und vergibt 14 Punkte. Nach meiner Erfahrung sehe ich hier für die Zukunft durchaus noch Luft nach oben.
Ein ganz toller Beitrag. Ich sehe schon, ich muß da auch mal hin! Liebe Grüße Thomas
Hallo Thomas,
ja mach das. Ich kann mir vorstellen, dass es Dir gut gefällt (und schmeckt) 😉
Hallo Thomas,
bin gerade über diese Rezension auf Deinen Blog aufmerksam geworden. Gefällt mir sehr!
Im Einzimmer habe ich zuletzt heute Mittag gegessen, Süßkartoffelpüree mit gebratenem Salat und Entrecote (schöne Fleischqualität, aber der Clou des Gerichts war schon der in Butter kurzgebratene Romanasalat mit Purple Curry). Das Einzimmer finde ich auch nach mehreren Besuchen (mittags und abends) klasse und stimme Dir zu, dass der Koch durchaus das Zeug für eine Sterneküche hat.
Beste Grüße, Michael
Hallo Michael,
freut mich natürlich, wenn dir gefällt, was ich hier so schreibe 😉 Ich bin gespannt, welche Entwicklung das Einzimmer noch nimmt. Bin da sehr zuversichtlich…
Schöne Grüße
Thomas
Exzellente Sicht der Dinge, der ich mich unumwunden anschließen möchte, nachdem ich letzten Freitag das erste und sicher nicht das letzte mal bei Tim Kohler gegessen habe. Aromatisches, fein aufeinander abgestimmtes und exzellent durchkomponiertes Genussfeuerwerk. Einzig an der Akustik ließe sich noch arbeiten, die mir persönlich etwas zu laut ist. Sensationelles Niveau für einen erst 26 jährigen Koch. Nicht auszudenken was da noch auf uns zukommt, selbst wenn er sich nur mäßig steigern sollte.
Vielen Dank für diesen aktuellen Zustandsbericht der Küche im Einzimmer. Das Akustik-Problem wurde mir jetzt schon von mehreren Bekannten geschildert, der Raum ist einfach etwas schwierig. Ich bin genauso gespannt wie es in der Küche weitergeht.