Habt ihr schon kulinarisches Fernweh? Wäre kein Wunder, das aktuelle Osterwetter ist noch nicht so frühlingshaft warm. Und an den freien Tagen kann man schon mal die ersten Inspirationen für den Sommerurlaub suchen. Für diejenigen unter euch, die sich nach Süden und hier nach Italien orientieren, habe ich einen interessanten Buchtipp.
Michael Langoth – Il Po
Der prächtige Bildband (A4 Überformat), den ich eher in die Kategorie „Kulinarische Reise-Lesebuch“ einordnen würde, verfolgt ein interessantes Konzept. Kulinarische Themen werden nicht anhand von Gebieten, Regionen und Grenzen definiert (kennt man ja: „Bayerische Küche“ etc.) sondern anhand einer geographisch bedingten Struktur. In diesem Fall: Das Gebiet rund um den italienischen Fluss Po.
Jeder von euch, der schon mal Richtung Toskana unterwegs war, kennt das langweilige, weil flache, Stück Autobahn von Verona bis Bologna. Genau, die Po-Ebene. Ein sehr fruchtbares Stück Erde, das auch recht dicht besiedelt (und zersiedelt) ist. Und auch die Heimat von sehr vielen Spezialitäten, Produkten und Zubereitungsarten: Aceto Balsamico Tradizionale, Parmigiano Reggiano, Culatello etc. Kommt wirklich alles von da!
Kulinarische Kultur – eine Annäherung
Der Autor versucht in dem Band sich der überbordenden Fülle an kulinarischen Themen dieser Region (etwas so groß wie ganz Österreich) abzuarbeiten. Und es gelingt ihm leider nur zum Teil. Der vordere Teil des Buches ist geprägt von wirklich wunderschönen Fotos aus der Po-Region, die in mir gleich den Wunsch keimen lassen, mal wieder dorthin aufzubrechen (Impressionen von Märkten, ein Bild vom Pferdemetzger usw). Hier versucht der Autor auch gar nicht eine vollständige Abhandlung des Themas zu schaffen, sondern wählt Beispiele die als „pars pro toto“ gelten können (Hallo Altphilologen – Ihr versteht was ich meine?).
Die Faktoren kulinarischer Qualität
Ausgehend von der Beschreibung klassischer und weltweit bekannter Spezialitäten spannt der Michael Langoth den Bogen hin zum Begriff kulinarische Kultur. Und man versteht auf welchen Faktoren diese beruht:
- Zeit bzw. Langsamkeit (Parmesan, Culatello, Balsamico – alles muss lange reifen bis der unverwechselbare Geschmack entsteht)
- Einfachheit (die typischen Gericht sind einfach aufgebaut, sie leben von der Qualität der Zutaten)
- Regionalität (es werden nur Produkte aus der Region verwendet, in der Po-Ebene z.B. überwiegend Butter und kein Olivenöl)
- Jahreszeit (Produkte werden nur in den jahreszeitlichen Phasen verwendet, den wundervollen Radicchio rosso tardivo di Treviso gibt es einfach nur im Winter)
- Stolz und Tradition (die Menschen sind stolz auf ihre Produkte, die Käufer honorieren auch die besondere Qualität)
Man erkennt Stück für Stück wie komplex das Thema kulinarische Kultur ist. Gleichzeitig ahnt man wie bedroht diese Kultur von Massenproduktion, industrieller Erzeugnissen und Gewinnmaximierung ist. Ganz zu schweigen von Ländern und Regionen wo derartiges Wissen nicht oder nicht mehr vorhanden ist.
Exemplarisch hier ein Zitat aus dem Buch:
Man spart wenn nötig anderswo, aber nicht beim Essen!
Rezepte und Beispiele
Wenn es um konkrete Rezepte geht, wird das Buch deutlich schwächer. Es werden ein paar Standardgerichte beschrieben, die jeder kennt. Leider auch noch artifiziell fotografiert im Stil der siebziger Jahre. Zu dem auch kulturell zu wenig eingeordnet in die vorher beschriebene kulinarische Tradition dieser Region. Das Lektorat hat hier wohl auch einige Fehler übersehen: Risotto kann all’onda zubereitet werden und nicht al onda.
Manchmal blitzt aber dennoch der Anspruch des Autors auf, wenn er die Unterschiede zwischen Brodo, Minestra und Zuppa erklärt (S. 176). Der in längeren Textabschnitten verwendete Blocksatz macht gleichzeitig die Lesbarkeit nicht einfacher.
Il Po und mein Urteil
Mein Urteil über das Buch fällt durchwachsen aus: Es hat seine Stärken da, wo es sich auf eine abstrakte Ebene begibt. Hört sich jetzt trocken an, ist es aber nicht. Man bekommt wirklich Lust da mal wieder hinzufahren und neue Entdeckungen zu machen. Schwach ist der Autor im konkreten, die Rezept erscheinen willkürlich ausgewählt und sind wenig animierend fotografiert. Dennoch ein Lob an Autor und den kleinen styria Verlag dafür, diesen ungewöhnlichen Weg der kulinarischen Beschreibung zu gehen!