Algen in der Küche – also als Kochzutat. Ist das für euch ein Thema?
In den letzten Monaten habe ich einige Signale empfangen, die mich neugierig auf das Thema Algen gemacht haben.
Zum einen habe ich bei der letzten Biofach Messe in Nürnberg einige Stände gesehen, die sich diesem Thema verschrieben haben. Oft unter dem fragwürdigen Etikett „Superfood“ aber immerhin.
Ein nachhaltiges und natürliches Lebensmittel sind Algen wohl – das klingt plausibel.
Bei einer Veranstaltung gab es vor einiger Zeit ein Päckchen getrocknete Algen in der Goodie-Bag als Geschenk. Damit hatte ich also das Produkt bei mir im Küchenschrank liegen.
Am meisten motiviert hat mich jedoch ein Bericht (hier zum Video) über den holländischen Koch Syrco Bakker, der Algen gezielt in der Hochküche einsetzt.
Syrco Bakker ist Küchenchef im Restaurant Pure C im holländischen Cadzand (Küstenregion Zeeland). Es gehört zum Imperium des legendären Sergio Herman und ist mit einem Michelin Stern ausgezeichnet.
Bisher waren mir Algen nur aus der japanischen Küche als relevante Zutat für gehobene Küche bekannt. Die Nori-Algenblätter für’s Sushi kennen wir ja alle.
Also was macht man nun wenn man mehr zu einem Thema wissen will?
Man zieht ein Kochbuch zu Rate. Leider gibt es kaum Literatur über Algen als Kochzutat.
Beim Kosmos Verlag fand ich eine Neuerscheinung, die mir recht brauchbar erschien. Aber das sollte sich bald als Fehlurteil herausstellen.
Algen – Das gesunde Gemüse aus dem Meer?
Eigentlich hätte ich schon stutzig werden sollen als ich im Buchuntertitel die Begriffe „vegan“, „Smoothie“ und „Superfood“ gelesen habe.
Ich halte überhaupt nichts von Ernährungsideologien und für zeitgeistige Esstrends bin ich kaum empfänglich.
Ich mußte meine Augenbraue noch weiter hochziehen als ich feststellte, das einer der Autoren, Jörg Ullmann, „eine der größten Mikroalgenfarmen der Welt“ leitet und die andere Autorin Kirstin Knufmann eine „Rohkost-Pionierin“ ist.
Hmmm, ob da kulinarisch der Funken überspringt?
Algen – Inhalt
Das Buch ist gegliedert in die Kapitel:
- Einleitung und Produktkunde („Algen faszinieren“, „Algen – unterschätzte Alleskönner“ und „Algen – Porträts“)
- Suppen und Vorspeisen
- Hauptgerichte
- Süßes & Gebäck
- Snacks & Drinks
Am interessantesten erschien mir dann anfangs auch die Warenkunde. Aber leider ist der Text hier sehr stark einseitig von der Ideologie geprägt.
So schreiben die Autoren:
… neue Algenprodukte können Ei und Butter im Backwerk ersetzen bei gleichem Geschmack, weniger Fett und Kalorien
Wenn ich sowas lesen muss, reicht es mir eigentlich schon. Ich will kein Ei und keine Butter im Backwerk ersetzen – Nie! NIEMALS!!
Richtig heftig (und zwar ganz objektiv) wird es dann bei der Beschreibung der Algenarten.
Ich habe ja zuerst dazugelernt, es gibt Mikroalgen und Makroalgen, wie z.B. Meerlattich oder Dulse, Nori, Riementang oder Hijiki. Und bei der Hijiki Alge wird es gefährlich!
Ich hatte mir parallel das (übrigens sehr empfehlenswerte) Aroma – Buch von Thomas Vilgis angesehen. Nun – er schreibt zu Hijiki Alge:
…kann einen hohen Gehalt des toxischen, anorganischen Arsens enthalten, da sich selbst bei einer Verzehrmenge von nur 10g/Tag gesundheitliche Schäden nicht mehr ausschließen lassen.
Wie heftig findet ihr das? Solche Zutaten – in einem „Superfood“– Kochbuch?
Auf Seite 76 gibt es dann tatsächlich ein Rezept damit: Sauerkrauteintopf mit Kartoffeln, Tomaten und Hijiki.
In der Zutatenliste wird aufgeführt: 1 EL (!) Hijiki-Algen.
Zwar weisen die Autoren auch auf die Gefahren hin, gehen aber mehr oder weniger lapidar über die Gefahren hinweg:
Bis jetzt sind auch keine Krankheitsfälle bekannt geworden
Na denn!
Leider kann ich die anderen Rezepte nicht mehr ganz ernst nehmen.
Sie wirken entweder wie für die vegane Hipster-Zielgruppe konstruiert („Auberginen-Dulse-Burger“) oder ersetzen ganz banal Zutaten aus klassischen Rezepten (Geschmorter Kürbis mit Pilzrisotto mit Wakame, S. 72).
Als ich dann bei den Getränken auf „Bubble Tea, einfach selbst gemacht“ (S.108) und „Algenknabbereien zum Stout-Bier“ (S. 111) stoße, muss ich lachen.
Ich stelle mir gerade vor, wie der bärtige Berliner Hipster sein Craft-Bier öffnet und ihm seine vegane Freundin ein paar Algenknabbereien dazu anbietet 🙂
Fazit zum Buch „Algen“
Das Buch – ihr ahnt es schon – war für mich leider ein totaler Fehlgriff. Ich kann es nicht einmal Veganern empfehlen, eben wegen der Gesundheitsaspekte.
Schade, sehr schade – denn ich habe einige ausgezeichnete Kochbücher vom Kosmos Verlag im Regal (u.a. vom Autor Hans Gerlach). Hier wurde eine Chance verschenkt.
Ich glaube, Algen haben durchaus das Potenzial zur ernsthaften Küchenzutat. Vielleicht hätte man einen Koch mal fragen sollen – wäre bei einem Kochbuch nicht verkehrt, oder?
Fotos und Gestaltung des Buchs sind tadellos. Für die Zukunft hoffe ich auf ein umfassendes Werk zum Thema.
Ich würde mich gerne zum Kochen mit Algen inspirieren lassen! Meine Algen-Tagliatelle im Vorratsschrank halten sich jedenfalls noch bis 01.07.2017.
Na, dann möchte ich mich doch mal zum Geäußerten äußern und eventuell zu einem besseren Verständnis beitragen:
1. Wer schon bei Begriffen wie „vegan“ stutzig wird und sich als kaum zugänglich beschreibt, dem wird das Buch sicher nicht gefallen! Beim Lesen der einleitenden Worte hätte klar werden sollen, dass das Buch sich unter anderem auch mit der „Ernährung der Zukunft“ auseinandersetzt. Diese wird wohl nicht sehr fleischlastig sein, dehalb der Fokus darauf (mehr dazu im Buch)…
2. Dass neuartige Produktinnovationen aus Algen „Butter und Ei“ ersetzen können hat auch weniger mit Ideologie zu tun als damit, dass Potential von neuartigen Entwicklungen basierend auf Algen aufzuzeigen. Beim Weiterlesen wäre klar geworden, dass man damit auch kalorienreduzierte Backwaren bei gleichem Geschmack kreieren kann. Ein Thema, welche auf großes Interesse bei Backwarenherstellern trifft (übrigens gab es für genau das Produkt einen „Innovationspreis“ auf einer der weltgrößten Lebensmittelmessen)
3. Über mögliche Gefahren der Hijiki-Alge wurde auch nich „lapidar“ hinweg gegangen, sondern detailliert erklärt: Da zitiere ich mal den entsprechenden Teil aus dem Buch: „Studien zeigen, dass der Arsengehalt recht hoch sein kann, sodass einige Behörden für Lebensmittelsicherheit (Kanada, USA, Großbritannien) vom Verzehr abraten. Mehr als 4,7 g Hijiki pro Tag überschreitet danach die tolerierbare Menge an Arsen. Der tägliche Konsum von Hijiki in Japan liegt allerdings bei nur circa 0,9 g. Bis jetzt sind auch keine Krankheitsfälle bekannnt geworden.“ …nur um mal den Kontext aufzuzeigen…
4. Den „Auberginen-Dulse-Burger“ muss man halt mal probieren. Wenn man den natürlich für die Zielgruppe „vegane Hipster“ konstruiert sieht, ist die Hemmschwelle natürlich hoch! Uhhhh: Auberginen, wie hipster-mäßig!
5. Wenn Sie beim „Bubble-Tea“ gelacht haben, dann ist wahrscheinlich ein großer Trend an Ihnen vorbeigegangen. Einfach mal Kinder fragen – die wissen Bescheid!
6. Wenn Sie auch bei den Algen-Knabbereien zum Stout Bier lachen mussten, finde ich das auch lustig. Wie im Text schon steht haben schon die Iren vor hunderten Jahren Dulse-Flocken zum Stout geknabbert, die „veganen, bärtigen Hipster“! – Wer hätte das gedacht?!
Sie dürfen natürlich das Buch „nicht gut finden“ und Sie müssen „Trends“ auch nicht mitmachen, darum geht es mir nicht, wie Sie vielleicht erahnen können – und damit beende ich meinen Kommentar auch mit einem Schmunzeln.
Viele Grüße, Jörg Ullmann (einer der Autoren)
((Für die Leser dieses Artikels noch eine Info: Die Gastronomische Akademie Deutschalnds e.V. hat das Buch im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2016 mit der Goldmedaille ausgezeichnet.))
Hallo Herr Ullmann,
es freut mich sehr, dass Sie als einer der Autoren sich hier zu Wort melden und meinen Beitrag kommentieren. Ich veröffentliche den Kommentar ungekürzt, damit sich die Leser ein umfassendes Urteil bilden können. Es ist ganz im Sinn meines Blogs einen Diskurs anzuregen. So kann man die Dinge voranbringen. Ich bin selbst sehr gespannt, wie sich das Thema Algen weiterentwickelt.
Schöne Grüße
Thomas