Der Frühling hält Einzug – auch in meinem Bücherschrank. Das wunderschöne „Kräuter“ Kochbuch von Tanja Grandits lag schon einige Zeit noch in Folie verpackt bei mir im Regal. Ich habe es mir bewußt aufgehoben: Für die Zeit, in der draußen die Natur explodiert und der Frühling mit all seiner Pracht und Schönheit Einzug hält. Nun ist es endlich so weit: Sonnenschein, Temperaturen um die 20 Grad, ein Blühen überall: Zeit für ein Buch, das mich sofort und nachhaltig begeistert.
Tanja Grandits ist eine der wenigen Sterne-Köchinnen in Europa. In Deutschland geboren führt sie in der Schweiz (Basel) das Restaurant „Stucki„. Ihr Lokal ist vom Guide Michelin mit 2 Sternen bewertet. Der Gault Millau hat ihr den Titel „Koch des Jahres 2014“ verliehen.
Tanja Grandits – feminine und sinnliche Küche
Um das besonderte und einzigartige an Tanja Grandits‘ Art zu Kochen besser kennenzulernen, gibt dieses Video einen ersten Eindruck. Prädikat sehenswert!
Ich finde man spürt bei den Gerichten förmlich eine andere, intuitive Herangehensweise. Besonders augenscheinlich ist auch immer die Ästhetik des Platings, also des Anrichtens auf dem Teller. Kein Gericht wirkt überladen, neben den Aromen sind die Farben der Elemente harmonisch angeordnet – und genau das macht aus jedem Teller ein kleines Kunstwerk. Ohne dass es, wie man ja mitunter in der Sternegastronomie feststellen kann, in einen sogenannten „Streberteller“ ausartet (also einer überkomplexen Tellerarchitektur, mit vielen Mini- und Mikroelementen).
Vierzig Kräuter und hundervierzig Rezepte
So lautet nun der Untertitel des neuesten Buchs von Tanja Grandits. Es ergänzt auf nahezu ideale Weise den bereits erschienen Band „Gewürze“ (spätestens seit diesem Buch bin ich ein Fan von Tanja Grandits Kochstil). Und es kommt nicht von ungefähr, dass sie wieder die Aromazutaten der Küche, nach den Gewürze nun eben die Kräuter, in den Mittelpunkt ihrer Kreationen stellt.
Nur so lassen sich Geschmacksbilder komponieren, die sich weitab von dem bewegen, was man so kennt. Das ist für mich wahrlich eine kreative und innovative Küche, die dennoch immer die Freude am Genuß in den Mittelpunkt stellt.
Und es ist eine wahre Freude das Buch zu lesen, darin zu blättern, sich inspirieren zu lassen. Man nimmt gleich Witterung auf: Die Fährte, die Tanja Grandits legt ist wirklich verführerisch.
Inhalt und Aufbau – Ausgangspunkt Kräuteraromen
Das Kräuter-Buch ist nun wieder genauso stringent und klar aufgebaut wie schon das „Gewürze“: Als Einstieg werden in wunderschönen Fotos und kurzen persönlichen Texten vierzig Kräuter beschrieben, die Tanja Grandits gerne verwendet. Dabei finden sich natürlich Klassiker (Rosmarin, Majoran usw.) aber auch eher unbekannte Kräuter, wie z.B. Erdbeerspinat oder Pandanblatt. Eingeteilt in die Richtungen Mild, Süß, Zitrusartig, Anisartig, Bitter und Würzig (sowie eine Übersicht zu verwendbaren Blüten) versteht man schnell wie vielfältig das Spektrum ist, das einem als Koch hier zur Verfügung steht.
Was für mich die Beschreibung auch besonders macht: Es werden die Varianten von Kräutern beschrieben und erklärt, also z.B. dass es vom Thymian auch eine Variante Orangenthymian und Zitronenthymian gibt. Diesselbe Akribie findet sich bei den Zutaten z.B. schreibt Tanja Grandits
Für Gurken verwende ich am liebsten Nostrano Gurken.
Wann hat man solche Sätze zum letzten Mal in einem Kochbuch mit gehobenen Anspruch gelesen?
Diese Differenzierung ist für mich untrügliches Indiz es hier mit einer hoch-ambitionierten Küche zu tun zu haben, jenseits von einer, ich nenne sie mal „Schmackofatz-Bistro“- Küche (ein Engländer, mir fällt sein Name gerade nicht ein, ist damit sehr erfolgreich. Äh, Jimmie oder Jonnie, oder gar Jamie heißt er glaub ich mit Vornamen.). Sie ist zwar oft herzallerliebst arrangiert und fotografiert, kommt aber über ein Mittelmaß an Idee und Geschmack nicht hinaus. Das ist hier definitiv anders!
Rezepte mit Kräutern
Obwohl man an dieser Stelle des Buchs schon wirklich inspiriert ist (und wie ich beschließt: Heuer muss unbedingt noch Shiso gepflanzt werden…) geht es auf Seite 76 dann richtig los mit den Rezepten. Sie sind sinnvoll und übersichtlich gegliedert in die Rubriken
- Aperitif
- Salat
- Suppe
- Fisch
- Fleisch
- Vegetarisch
- Dessert
- Gebäck
- Getränke
- sowie eine abschließende Zusammenstellung von Basisrezepturen
In dieser Reihenfolge brennt Tanja Grandits dann ein wahres Ideen- und Genußfeuerwerk ab. Man möchte jedes, aber auch wirklich jedes, Gericht riechen, kosten, genießen und ja: auch selbst nachkochen, denn die Komplexität der Rezepte ist auch für ambitionierte Hobbyköche nachvollziehbar.
Kräuterküche – zu Ende gedacht
Was mir an dem Buch ebenfalls sehr positiv auffällt: Die Kreativität und Akribie mit der die Köchin das Thema Desserts, Gebäck und Getränke behandelt. Für sie ist ein Menü eben nicht mit dem Hauptgang „gegessen“ (ihr verzeiht das Wortspiel, ich konnte nicht widerstehen…). Gerade Kräuter lassen sich hier vielfältig einsetzen (Wie wär’s mit einem Pfeffer-Basilikum Brioche, einer Estragon Schnecke oder als Dessert mit einem Dill Sorbet mit Mango und Macadamia Crunch?).
Tanja Grandits zeigt eindrucksvoll: Viele wunderbare Genußabenteuer warten noch auf uns!
Mein Fazit
Für mich ist „Kräuter“ von Tanja Grandits ein neuer Maßstab im kreativen und innovativen Umgang mit Kräuteraromen. Das Buch übersichtlich gegliedert, mit einem leserfreundlichen Layout und wahnsinnig schönen, weil puristischen, Fotos (kein sinnloses Hingekleckere von Zutaten neben dem Teller, keine Pünktchen Servietten, keine weißlackierten Holzbretter als Untergrund).
Wenn ich unbedingt Kritik äußern muß: Mir ist eine falsche Zuordnung bei den Kräutern aufgefallen: Schnittzwiebel und Schnittknoblauch wurde verwechselt (S. 67). Konzeptionell wäre vielleicht noch interessant zu überlegen, wie Tanja Grandits mit ungewöhnlichen fleischlichen Komponenten (also z.B. mit einem Kalbsbries oder einer Lammleber) umgehen könnte. Eine Frage, die optimistisch macht für die weitere Evolution von Tanja Grandits Küche.
Wir können also gespannt sein – von dieser Köchin werden wir noch einiges hören.