Dass mich das Thema nose-to-tail besonders interessiert, ist dem einen oder anderen vielleicht schon durch meine Berichte von der AEG Taste Academy Teil 1 / Teil 2 aufgefallen.
Luwig „Lucki“ Maurer (hier zu seiner Website) hat mir damals gezeigt, welches Potenzial für eine kreative Küche in den heute so verschmähten Teilen vom Tier steckt.
Für mich stand deshalb außer Frage, dass früher oder später Luckis wegweisendes Buch zu diesem Thema in meine Kochbuchsammlung einziehen muss. Hier nun ein paar Gedanken zu diesem wahrlich meisterhaften Werk.
Fleisch – Rezepte und Praxiswissen zu besonderen Fleischstücken
Der Untertitel verspricht nicht zu viel und ist eher noch untertrieben. Ich kenne aktuell kein Kochbuch, das das Konzept nose-to-tail auf einem fachlich so hohem Niveau erschöpfend darstellt.
Neben einem sehr reflektierten Vorwort von Lucki Maurer selbst trifft der interessierte Leser gleich auf Seite 9 auf ein Zitat Arthur Schopenhauers (kennt ihr den? War ein deutscher Philosoph.)
Solange Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken!
Für mich ein ungewöhnlich klares Bekenntnis zum bewussten Umgang mit Fleisch, dem Tier und der menschlichen Verantwortung in der Verarbeitung.
Fleisch – Inhalt
Neben der Einleitung ist das Buch in drei Hauptkapitel eingeteilt:
Nutztierrassen und Aufzucht
Nicht zufällig am Beginn platziert, denn Qualität beim Fleisch entsteht von Anfang an. Die Wahl einer alten bewährten Rasse und die artgerechte Aufzucht sind entscheidend für hervorragende Produktqualität.
Rezepte
Logischerweise der umfangreichste Teil des Buches, faszinierende Gerichte von Rind, Schwein, Wild, Lamm, Ziege und Kaninchen. Darüber hinaus auch Anmerkungen zur Fleischzerlegung, zur Kochtechnik und eine Auflistung wichtiger Grundrezepte wie Fonds und Saucen.
Vom Tier zum Fleisch
Ohne Schlachten kein Fleisch auf dem Teller. So ist es nur konsequent wenn Lucki Maurer den Schlachtprozess genauer beleuchtet. Das Thema wird ja inzwischen völlig ausgeblendet, nicht nur von Vegetariern sondern auch von Fleischessern.
Natürlich erfährt man hier auch über die Unterschiede in der Fleischreifung. Dry-aged gehört ja mittlerweile zum Basisvokabular eines jeden Foodies. Aber was gibt es eigentlich noch für Möglichkeiten und wo liegen genau die Unterschiede?
Die Rezepte
Die Kreativität mit der Lucki Maurer an das Thema Innereien herangeht ist schlichtweg atemberaubend. Jedes Stück, so ungewöhnlich es auch sein mag, spielt die Hauptrolle auf dem Teller.
Zubereitung, Komponente und Würzung stehen im Dienste der Hauptzutat. Kein Chichi, kein Geklecksel, keine Streberteller. Lucki ist ein bodenständiger Typ, fachlich herausragend und extrem kreativ und unkonventionell. Und genauso sind seine Gerichte!
Mal ein paar Beispiele, die mich besonders beeindruckt haben:
Outside Skirt mit Olivenölemulsion | Tapenade | Mönchspfeffer
Ja, diese Kombination ist so logisch und so einfach. Die kühlen Noten vom Pfeffer werden verlängert durch die erdige Würzigkeit der Oliven (Emulsion und Tapenade) und im Zusammenspiel rollen diese Aromen gewissermaßen den roten Teppich für das Fleisch aus. Hammer!
Berliner Schnitzel = Kuheuter | Preiselbeeren | Sardellen
Vollgas! Das ist ein Rezept, wie es extremer kaum sein kann. Und doch so harmonisch.
Kuheuter, ja das kann man essen (vielleicht nichts für nose-to-tail Anfänger, zumal die Beschaffung nicht einfach sein wird). Hier paniert und kombiniert mit der herben Süße von Preiselbeeren, der Salzigkeit von Sardellen.
Damit nicht genug, Kapern und Korinthen spannen hier einen Geschmacksraum auf, der riesig ist und dabei doch an das klassische Wiener Schnitzel erinnert.
Wann sieht man so ein Rezept mal in einer der unsäglichen TV-Kochshows? Vermutlich nie, die Mainstream-Kriterien der zuständigen Redakteure lassen so etwas nicht zu.
Beuscherl-Cappuccino | Wasabirauke | Purple Curry
Bei uns im süddeutschen Raum ist Beuscherl oder ein saures Lüngerl ja durchaus noch ein vertrautes Gericht. Aber was Lucki aus der klassischen Zubereitung macht ist schlichtweg großartig.
Die Neuinterpretation als „Cappuccino“, will heißen einer feingemixten dicken Brühe ist für mich ein Rezept, das ich definitiv nachkochen werde.
Hirschleber | Rosenkohl | Cranberry | Speck
Die Steigerung von Innereien ist: Innereien vom Wild. Die Potenz einer Innerei quasi. Natürlich selten zu bekommen, da solche Stücke meist sofort vom Jäger selbst verzehrt werden. Warum wohl?
Lucki kombiniert hier die Leber mit der sanften Bitterkeit des Rosenkohls und einer salzig herben Süße von Canberrys mit Speck, wundervoll. Dazu würde ich sofort einen großen Pinot Noir aus dem Keller holen. Hach!
Die Auswahl dieser vier Rezepte ist jedoch keinesfalls repräsentativ, bei jedem Umblättern ist man erneut überrascht und beeindruckt.
Kritikpunkte gibt’s quasi nicht. Die Verwendung von Blattgold bei einem Gericht, ach ja. Und die bunt gefärbten Kaninchenlollies, darauf könnte man verzichten. Aber kreative Küche muss die Grenzen ausloten und auch manchmal darüber hinaus schießen.
Die Ausstattung des Kochbuchs Fleisch
Großes Kompliment an den Matthaes Verlag für diese Buch. Hier wurde ein Standardwerk geschaffen mit hochwertiges Layout und genügend Raum für die Ideen von Lucki Maurer.
Besonders beeindruckend auch die tolle Foodfotografie von Florian Bolk, kein Firlefanz auf den Teller aber auch nicht kühl und steril dargestellt, wie man es manchmal leider in Büchern von Sterneköchen findet.
Einzig ein Lesebändchen wäre für den täglichen Gebrauch eine kleine Hilfe.
Weiter Buchkritiken zu „Fleisch“ von Ludwig Maurer
Ich freue mich ehrlich darüber, dass das Buch auch an anderer Stelle beachtet und besprochen wurde. Auch Herr Dollase hat es sich schon vorgenommen. Hier geht’s zu seiner Rezension. Und bei Bloggerkollegin Dorothee gibt’s auch eine ausführliche Besprechung.
Also diesmal eine klare Empfehlung: Lest dieses Buch! Kocht Lunge, Leber, Hirn und Herz! Es gibt soviel zu Entdecken…