Restaurant Steirereck – Wien [Restaurantkritik]

Ja so habe ich es mir vorgestellt: November in Wien – grauer Himmel, schneidende Kälte.

Da wirkt der morbide Charme der Donaumetropole gleich doppelt.

Der einzige Ausweg: man muß sich ins Warme flüchten. In die Kaffeehäuser. In die Beisln. Und in das beste Restaurant Österreichs: Das Steirereck der Familie Reitbauer. Eines meiner Wunschziele, schon lange, nicht erst seit den hohen Auszeichnungen im letzten Jahr.


Das Restaurant Steirereck in Wien ist seit Jahren das beste Restaurant der Alpenrepublik. Heinz Reitbauer hat es seit der Übernahme im Jahre 2005 als Chefkoch ganz an die Spitze geführt.

Das Steirereck ist mit 2 Sternen Michelin ausgezeichnet (und viele sagen es hätte längst drei verdient), hat vier Hauben im Gault&Millau Österreich und wurde 2016 auf der umstrittenen Pellegrino Best 50 Liste auf Platz 9 (!) der besten Restaurants der Welt geführt. Zur Website geht’s hier entlang.


Küchenstil wird immer von Persönlichkeiten geprägt.

Heinz Reitbauer fiel mir in der Vergangenheit da immer wieder auf: wegen seines Engagements für hochwertige lokale Zutaten und Produzenten (z.B. durch die Verwendung der ausgefallenen Zitrusfrüchte aus der Zucht im Schloss Schönbrunn, hier zum Nachlesen).

Geradezu politisch ist Reitbauers Einsatz für die von der EU-Gesetzgebung bedrohten Sortenvielfalt und der Erhaltung der einzigartigen Biodiversität in Europa – wer wenn nicht ein Spitzenkoch kann dieses Thema glaubwürdig repräsentieren?

Dass er dabei fernab von jedem Sektierertum bodenständig geblieben ist, macht ihn doppelt sympathisch.

Einen sehr guten Einblick in sein Denken, seinen Anspruch und seine Ziele gibt dieses Interview.

Genug ausgeholt – jetzt geht’s zur Sache.

Eingang Restaurant Steirereck Wien

Einladender Empfang


Es ist schon ein besonderes Erlebnis, wenn man in tristem Novembergrau von der U-Bahn Station Stadtpark durch Bauzähne hindurch zum Restaurant läuft.

Der warme Lichtschein, der einem entgegenleuchtet, scheint zu sagen: Vergiß das kalte Draußen – hier erwartet dich das Paradies! Und das Versprechen wurde wahrlich gehalten…

Restaurant Steirereck – das Menü

Da wir ja mittags im Steirereck reserviert hatten (die Abende waren bereits alle ausgebucht) hatte ich anfangs ja leise Sorge, dass es das große Menü vielleicht nicht geben würde.

Unbegründet, zum Glück. Die Mittagskarte beinhaltet zwar auch einige „einfachere“ Gerichte, aber das große Menü mit 6 oder 7 Gängen wird auch mittags serviert. Frau Reitbauer notierte also zweimal das  7 Gänge Menü für unseren Tisch – wir hatten ja auch was zu feiern und überhaupt.

Eine etwas abgespeckte Weinbegleitung schien für die Tageszeit ein passender Kompromiß.

Eingestimmt mit einem Glas Rosé vom Weingut Jurtschitsch (Kamptal) konnten wir uns schnell den zahlreichen Amuse Gueule widmen, die vom netten Service herbeigetragen wurden.

Steirereck Amuse Gueule

Amuse Gueule – Teil 1


Leckere Kleinigkeiten von denen mir besonders das Süppchen als sehr wohlschmeckend im Gedächtnis blieb.

Steirereck Amuse Gueule Teil 2

Alle Texturen in den Amuse Gueule


Legendär dann der gleich darauf folgende Auftritt von Andreas Djordjevic mit dem unglaublichen Brotwagen.

Die 25 oder waren es gar 30 Sorten könnte man natürlich als Luxus deuten, für mich ist das aber nur Zeichen der hohen Brotkultur im Nachbarland.

Brotauswahl im Steirereck

Brot in Vollendung


Eine Vielfalt, auf die man stolz ist und sie deshalb auch stolz präsentieren kann. Für mich als „Wenig-Brot-zum-Essen-Esser“ eine Herausforderung, der ich mich diesmal stellen mußte 😉

Und natürlich – auch die ausgezeichnete Butter zum Brot – aus Rohmilch. BUTTER muß man hier schreiben, so gut schmeckt diese.

Dann startete das Menü:

 Attersee Reinanke mit Sungold Paradeisern, Sellerie & Pfeffer (9/10)

Steirereck erste Gang Reinanke

Reinanke mit angegossenem Eiskraut-Paradeisersaft


Exemplarischer kann man nicht in ein Menü starten.

Frische, Säure, Textur, leichte Süße – alles da.

Sofort demonstriert die Küche des Steirereck auf welch hohem Niveau sie kocht. Jeder Bissen offeriert eine andere Geschmacksarchitektur, das untrügliche Zeichen für komplexe Gerichte.

Unfassbar gute Produktqualität aller Zutaten, selbst die Haselnüsse waren eine Sensation. So gute Nüsse habe ich noch nie gegessen.

Sommelier René Antrag servierte uns dazu Alte Reben 2013 von Thomas Straka (Rechnitz, Südburgenland). Eine Cuvee aus Weissburgunder und Welschriesling, die die frische Komplexität des Ganges sehr schön begleitete.

Das ist der Moment, den wohl jeder Genießer liebt: Das Menü beginnt, der erste Gang ist vielversprechend und man ist hungrig und neugierig auf das was nun noch folgt…

Puntarelle mit Götterfrucht, Salzkapern & Bouchot Muscheln (10/10)

Steirereck Puntarelle mit Muscheln

Überragender Gemüsegang


Hier kommt sie: echte Perfektion in Form eines Gerichts bei dem Gemüse die Hauptrolle spielt (der aber kein reiner Veggie-Gang ist).

Im Mittelpunkt die Puntarelle, eine Chicorée-Art. Das hatte ich bis dato noch nie gegessen.

Neben dem exzellenten feinen Bittergeschmack kann man nur über die perfekte Garung des Gemüses staunen:

Eine Textur, die schon richtig ins Fleischige geht, gepaart mit süßlich-säuerlichen vegetabilen Nuancen. Die Muscheln sind fast zum Texturelement degradiert (sie greifen aber die Fleischigkeit des Gemüses wieder auf).

Alles liegt in einem wunderbar süffigen Sud, der natürlich komplett ausgelöffelt wird. Ganz großartig!

Glacierter Stör mit Marchfelder Artischocken, Physalis und Olivenkraut (8/10)

Steirereck Stör

Stör als Fischgang


Stör ist in Hochgastronomie eher als Lieferant von Kaviar bekannt. Im Fischgang bekommt er seinen eigenen Auftritt.

Leider bleibt der Stör in seiner Rustikalität etwas eindimensional.

In der Dramaturgie des Menüs ist das Gericht jedoch eine erneute Steigerung hin zu etwas kräftigeren Aromen.

Es gibt nun deutliche Röstnoten (der Stör wurde leicht angegrillt), Senf kommt zum Einsatz (als Senfgurken), Herbsttrompeten-Pilze steuern mehr Umami bei und die wirklich winzigen Artischocken bilden quasi die Bitterkeitsbrücke zum vorherigen Gang.

Auch beim Wein geht es nun eine Stufe höher: An die Loire, die klassische Weißweinregion, mit einem 2014er Montlouis-sur-Loire „Les Choisilles“ von Francois Chidaine.

Ein biodynamisch erzeugter Chenin Blanc mit sanftem Schmelz – einmal mehr der Beweis wie gut sich Chenin Blanc als Speisebegleiter zu komplexen Gemüse- und Fischgerichten eignet.

Mit Hochspannung sehen wir dem nächsten Gang entgegen…

Kalbshirn mit Mispel, Senfgurke und Chupetinho (10/10)

Steirereck Kalbshirn

Innereienküche in Vollendung


Innereien haben in der Hochgastronomie immer noch Seltenheitswert, das Thema Nose-to-tail scheitert oft auch an den Erwartungen der Gäste.

Nicht so im Steirereck, denn in Österreich und speziell in Wien hat die Innereienküche eine lange Tradition.

Aufgetragen wird ein perfekter Teller.

Das Kalbshirn schwankt in Konsistenz zwischen Bries und Foie Gras – eine sanfte, cremige Textur. Unvergleichlich und fast unbeschreibbar im Aroma.

Hier wird nichts kaschiert, das Stück Hirn nimmt zentrale Position ein. Es wird kongenial begleitet von einer sehr wohlschmeckenden Vinaigrette, als fruchtiges Element kommt diesmal Chupetinho zum Einsatz.

Eine Chilliart, die vom österreichischen Tomaten- und Gemüsepapst Erich Stekovics bezogen wird. Als knuspriges Element (notwendig als Gegenpart zur cremigen Textur des Kalbshirn) finden sich eine Art Chips von Haiden – einer getreideähnlichen Feldfrucht, die in der Steiermark und in Kärnten angebaut wird.

Das ist nun definitiv eines meiner Referenzgerichte für Innereien.

Nun zum Hauptgang, der nochmal eine dichtere Aromatik bringen soll. Es gibt Wild – in zwei Varianten. Die Begleiterin hat Reh gewählt, ich mich für den Hasen entschieden.

Wildhase mit Grünkohl, Cardy und Pastinake (7/10)

Steirereck, Huptgang Wild

Wildhase, versteckt unter Pastinakencreme


Leider ist der Hase, von dem hier mit Pastinakencreme nappierte Vorderläufe serviert werden, der schwächste Gang im Menü. Das Fleisch erscheint mir für Wildhase relativ charakterlos.

Das Fleisch bleibt auch komplett unter der Pastinakencreme verborgen, diese Art anzurichten gefällt mir auch nicht so gut und ein Grünkohl-Fan bin ich auch nicht.

Natürlich ist das Gericht sehr schön abgestimmt und der grandiose Wein – ein Zweigelt von Sepp Muster aus der Steiermark tröstet mich ganz gut.

Steirereck Reh Hauptgang

Der andere Hauptgang – das Reh


Die Begleiterin hat es mit ihrem Reh deutlich besser getroffen – es waren jedenfalls nur wohlgefällige Kommentare zu hören. Sommelier Antrag hat hier mutig (und konsequent) einen alten Sherry serviert. Geniale Idee und großer Genuss!

Während es draußen im Wiener Stadtpark langsam zu dämmern beginnt, steigt drinnen das Entspannungs- und Genusslevel Richtung „Nie-wieder-aufstehen“.

Und so kommt das Pre-Dessert genau recht, eine kleine Erfrischung muss jetzt sein.

Wiener Kräuter Ge(e)ist mit Ananas, Gurke und Osmanthus (9/10)

Steirereck Predessert Wiener Käuter Ge(e)ist

Wunderkugel mit Kräuterhauch


Damit schindet die Küche mit ihrer Technik bei mir schon etwas Eindruck.

Die Kugel, die mit einem Kräuterlikör, Ananas und Yuzu aromatisiert ist, entpuppt sich nicht als klassisches Sorbet sondern ist in der Textur viel luftiger.

Ein Löffel davon verschwindet im Mund zu einem Aromahauch. Ich rätsle heute noch, wie so etwas technisch gemacht wird.

Ansonsten dominiert in diesem Gang leichte Säure, Zitrus und etwas Cremigkeit (Avocado und Sellerie), schön komponiert auch in der Menüfolge sehr durchdacht. Eine Wohltat an dieser Stelle.

Als finaler Dessergang kommt … keine Frage! … eine Mehlspeise 🙂

Knusprige Frittaten mit Topaz Apfel, Muskat und Gin-Dirndl (10/10)

Steirereck Frittaten Dessert

High-end Mehlspeise


Finale furioso der großen Gourmet-Oper im Steiereck.

Besser kann man Frittaten (=Pfannkuchen) nicht machen. Umhüllt mit einem zarten Gespinst aus hochknusprigen und winzig schmalen Teigstreifen.

Einfach und doch vielschichtig durch die Kombination mit Apfel, Schokolade und Muskat Eis.

Das i-Tüpfelchen bildeten jedoch die ein Jahr (!) in Gin eingelegten Dirndl (=Kornelkirschen). Großartig, welche Aromen sich aus einer Wildfrucht herauslocken lassen.

Ach ja, einen Süßwein gab es auch dazu und zwar nicht irgendeinen:

Den Gewürztraminer Terminum VT 2012 von der Kellerei Tramin.

VT steht hier für Vendemmia tardiva, also in etwa Spätlese („späte Ernte“). Beim Nachrecherchieren habe ich gelesen, dass der Jahrgang 2007 dieses Weins als bester Wein Italiens ausgezeichnet wurde.

Köstliche Kombination – wir sollten alle mehr Süßwein trinken!

Das Menü gegessen? Nein, nicht ganz:

Steirereck Honig Auswahl zum Dessert

Honigvariationen zum Abschluß


Zum Abschluß kam der berühmte „Honig-Wagen“ herangerollt.

Wir konnten seine Besonderheit schon bei Gästen am Nebentisch erspähen: Wenn der Deckel des Kastens gehoben wird, setzt ein Summen wie im Bienenkorb an. Steirereck goes Multimedia…

Statt einer Petit fours Auswahl kann man vom Wagen unterschiedliche Honigsorten probieren, ergänzt um Knusperpollen und kleines Honiggebäck.

Eine sehr schöne und ungewöhnliche Idee, die auch gleich wieder den Bogen spannt zur Regionalität. Das Thema Honig erinnert auch an einen Signature Dish aus dem Steirereck: Den in heißem Wachs gegarten Saibling.

Zudem konnten wir uns von der hohen Sachkenntnis des Servicepersonal überzeugen, denn es entspann sich ein interessanter Dialog über den Unterschied zwischen Wald- und „normalen“ Honig.

Wer bis hierhin durchgehalten hat, ahnt es längst:

Das Menü im Steirereck ist mein Esserlebnis des Jahres 2016.

Hohe Kochkunst jenseits von gekünsteltem Zeitgeist, echte Regionalität bei den Zutaten und ein professioneller und sympathischer Service rechtfertigen in meinen Augen die hohen Bewertungen mehr als genug.

Steirereck Küche mit Pass

Blick in die offene Küche


Sehr gut gelöst auch ein Detail, das ich bislang noch nicht erwähnt habe:

Zu jedem Gericht wird ein kleines Kärtchen gereicht, auf dem Zutaten und Besonderheiten erklärt werden.

So muss sich der Service nicht in langatmigen Erklärungen verlieren und der Gast kann die Informationen nachlesen, falls er möchte. Zudem gibt es auf der Website eine Art Datenbank für die Gerichte: Man gibt die Nummer vom Kärtchen ein und kann so zu Hause nochmal alles nachlesen.

Witziges Detail des Understatement im Steirereck: Die Urkunde zur Auszeichnung „Koch des Jahrzehnts“, die Heinz Reitbauer kürzlich vom Gault&Millau verliehen bekam, hängt unspektakulär im Sanitärbereich 😉

Drei Tipps noch zum Schluß:

  1. Dem Steirereck angeschlossen ist das Bistro „Meierei“ wo es verfeinerte bodenständige Gerichte gibt. Man sitzt da sehr schön mit Blick in den Stadtpark. Wohl auch sehr beliebt zum Brunch am Sonntag…
  2. Das Steiereck gibt ein eigenes Magazin heraus, das ich sehr empfehlen kann. Es ist toll gestaltet mit schönen Fotos und einer bunten Themenpalette rund ums Genießen – einige Artikel daraus finden sich auch online im Blog der Website.
  3. Über die Zusammenarbeit mit den Produzenten gibt es ein kleines Video – es zeigt sehr schön die enge Verbundenheit mit den Lieferanten:

 

2 Kommentare

    • foodflaneur